Seit Jahrzehnten leben wir in einer Zeit der fortwährenden Maximierungen. Immer höher, schneller, weiter. Immer mehr, teurer, billiger. Immer mehr Funktionen, alles auf Knopfdruck, Touch, perfekt und perfekter. „Das Bessere ist der Feind des Guten.“ heißt es. 2.0, 3.0, 4.x. Die Welt wieder ein Stückchen besser gemacht. Ist das wirklich so? Oder ist möglicherweise unser rastloser Verbesserungsdrang tatsächlich der Feind des Guten, das wir haben? Lässt sich das am Zustand und den Problemen unserer Welt ablesen? Schaffen wir neue, größere Probleme mit der Lösung der alten? Haben die Leute recht, die sagen „Wenn das die Lösung sein soll, möchte ich lieber mein Problem zurück.“? Burnout bei Erwachsenen und Zukunftsängste von jungen Leuten zeigen mir in der Praxis, welche Zerstörungen Perfektions- und Maximierungsdruck in den Menschen anrichten können.
„Weniger ist mehr.“ Na ja, bla, bla. Diese Erkenntnis ist wirklich nicht neu. Und mal ehrlich, können Sie sich unter dieser allgemeinen Floskel überhaupt was vorstellen? Zur Kultur der Hopi-Indianer gehört(e) es, alle ihre Maßnahmen auf die Auswirkungen auf die nächsten sieben Generationen, also 150 – 200 Jahre, zu überprüfen. Man kann davon ausgehen, dass eine sorgfältige Was-wäre-wenn-Prüfung gelegentlich auch das Ergebnis hat „Lassen wirs lieber.“. Solche weite Voraussicht mag schwierig sein, aber sich verantwortungsvoll zu bemühen, die Folgen seines Handelns abzuschätzen, ist auf jeden Fall um Welten besser als die maximierungsbedingten Krisen, die uns unvorhergesehen regelmäßig und immer häufiger wie aus dem Nichts kommend auf die Füße fallen. Finanzkrise, Klimakrise, Umweltkrise, Spaltung der Gesellschaft, Gesundheitskrise, Demokratiekrise … . Ein Handwerkerspruch, voll aus dem Leben, bringt die schwammige, nichtssagende Weniger-ist-mehr-Formel mit der Weisheit der Hopi griffig zusammen und auf den Punkt: Nach ‚fest‘ kommt ‚ab‘! Fester als fest lässt sich eine Schraube nicht anziehen, ohne den Kopf abzudrehen. Weniger ist nicht nur mehr, sondern mehr ist schnell auch weniger.
Dieses Bild aus der Erfahrungswelt der Handwerker zeigt uns genau, worum es beim fortwährenden Maximieren geht, nämlich um das disruptive Umschlagen von Vorgängen, die man übertreibt, in eine völlig unerwünschte, nicht mehr beherrschbare, oft unvorhergesehene Richtung. Mit einer einzigen Umdrehung, nein, mit einem winzigen Tick zu viel schlägt die Verschraubung um von ‚bombensicher‘ zu ‚Mega-Problem‘. Reparatur schwierig, mühselig, teuer, und trotzdem irgendwie vermurkst und angemackt. Wer das vermeiden möchte, braucht ein Gefühl dafür, den Bogen nicht zu überspannen. Auch das so eine illustrierende Metapher zum Thema. Alles hat einen Kipp-Punkt, einen Punkt des Genug, an dem ‚mehr‘ umschlägt in ‚weniger‘. Nicht selten in eine wirklich schlimme Katastrophe, wie sie uns beim Klima droht.
Ein gelingendes Leben hängt sehr davon ab, sensibel zu werden für solche möglichen Kipp-Punkte. Suffizienz, Funktionstüchtigkeit, braucht in allen Lebensbereichen das rechte Maß. Ich muss erkennen, was ich persönlich wirklich brauche und wieviel davon, und ab wann ‚mehr als genug‘ beginnt, mir zu schaden. Es geht darum, den Unterschied zwischen Wunsch und Bedürfnis zu erlernen. Brauche ich etwas? Oder will ich es nur, vielleicht weit über mein Bedürfnis hinaus?
Spannend, wenn Sie das für sich erkunden möchten. Auf eigene Faust, – vielleicht unterstützt durch ein Tagebuch -, oder mit mir zusammen.